Wie wir bereits in einem früheren Artikel ausführten, wurde die Einführung der Mehrwertsteuerreform für den Onlinehandel wegen Corona bereits verschoben. Die Regelungen traten daher nicht – wie ursprünglich geplant – bereits Anfang 2021, sondern erst am 1. Juli 2021 in Kraft. 2022 wird daher das erste Jahr sein, das komplett nach den neuen Regelungen gestaltet werden kann. Für 2021 galten noch ein halbes Jahr die alten Regelungen und ein weiteres halbes Jahr die neuen Regelungen, was zu einigen Ausnahmen führte (wir berichteten).
Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste vorab in Kürze
- Für den Handel innerhalb der EU gilt jetzt eine Lieferschwelle von 10.000 Euro pro Jahr.
- Bis zu diesem Betrag ist der Umsatz im Land des Herstellers zu versteuern.
- Alle Umsätze darüber hinaus sind im jeweiligen Bestimmungsland zu versteuern.
- Die Be- und Verrechnung der Mehrwertsteuer wird von zentralen Stellen in jedem EU-Mitgliedsland übernommen.
- Onlinehändler müssen sich dazu lediglich einmal im Land ihres Unternehmenssitzes registrieren.
- 2022 wird das erste Jahr sein, das komplett nach den neuen Regelungen abgewickelt wird.
Was bedeutet EU-Mehrwertsteuerreform – Definition
Die EU-Mehrwertsteuerreform wurde geplant, um den Handel innerhalb der EU zu vereinfachen. Die Abrechnung der Mehrwertsteuer erfolgt dabei über zentrale Stellen in den einzelnen Ländern. Damit entfallen aufwendige Umsatzsteuererklärungen in einzelnen Ländern und die Beachtung unterschiedlicher Lieferschwellen. Gleichzeitig sollen mehr Transparenz und weniger Betrugsmöglichkeiten erreicht werden.
Was sind die Ziele der EU Mehrwertsteuerreform?
Im Fokus der Mehrwertsteuerreform stehen folgende Aspekte:
- Bessere Zusammenarbeit der einzelnen Mitgliedsländer.
- Vereinfachung der Mehrwertsteuererhebung.
- Förderung des Handels in der EU.
- Mehr Transparenz & Sicherheit vor Betrug.
Nach Ansicht der EU-Kommission lagen die Kosten für die vorschriftsmäßige Befolgung der Mehrwertsteuervorgaben bei grenzüberschreitend tätigen Händlern im Vergleich zu ausschließlich im Inland handelnden Unternehmen früher um etwa 11 Prozent höher. Das neue System sollte diese Hürden und Kosten senken und außerdem deutlich weniger betrugsanfällig sein als die bisher geltenden Regelungen.
Allerdings zeigt sich jetzt schon, dass die Reform von der Wirklichkeit überholt wurde. Dazu später mehr.
Was sind die wichtigsten Regelungen der EU Mehrwertsteuerreform?
- Einheitliche Lieferschwelle von 10.000 Euro pro Jahr.
- Zentrale Stelle in jedem Mitgliedsland der EU, bei der sich die Händler einmal registrieren müssen.
- Die Registrierung erfolgt in einem Onlineportal.
- Die zentralen Stellen nehmen die Verrechnung der Mehrwertsteuer vor.
Hinweis: Alle hier vorgestellten Aspekte der EU Mehrwertsteuerreform beziehen sich auf den Handel mit Endkunden, also B2C. Der B2B Handel gilt innerhalb der EU als innergemeinschaftlicher Handel ist mehrwertsteuerfrei für den Verkäufer.
Was sind die Vorteile der EU Mehrwertsteuerreform?
Die EU Mehrwertsteuerreform bringt eine Vielzahl an Erleichterungen mit sich:
Kleinunternehmer profitieren von Vereinfachungen
Für Kleinunternehmen sollen die Regelungen der Mehrwertsteuerreform deutliche Vereinfachungen bringen. Bisher mussten sie für jedes Land, in das sie an Endkunden lieferten, die jeweiligen Lieferschwellen beachten und bei Bedarf dort eine Umsatzsteuer-ID anmelden und Steuern entrichten. Dieser Aufwand entfällt in Zukunft (zumindest in vielen Fällen). Es ist lediglich noch eine Anmeldung in einem zentralen Onlineportal in Deutschland notwendig.
EU-Ländern erhalten mehr Flexibilität bei ermäßigten Steuersätzen
Die flexiblere Gestaltung der ermäßigten Steuersätze durch die jeweiligen EU-Länder ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Reform . Die Mitgliedstaaten können so deutlich einfacher eine Mehrwertsteuerbefreiung, zwei ermäßigte Steuersätze ab 5 Prozent bis zum jeweils gültigen Normalwert sowie einen ermäßigten Steuersatz ab 0 Prozent bis zu den ermäßigten Sätzen eigenständig festlegen. Die zentralen Stellen verrechnen dann die jeweils aktuell gültigen Sätze.
Mehr Transparenz & weniger Betrugsmöglichkeiten
Durch mehr Transparenz sollen auch die Möglichkeiten zum Betrug und zur Steuerhinterziehung durch die Reform eingedämmt werden. Eine EU-weite Vernetzung bei der Erhebung der Mehrwertsteuer soll eine lückenlose Erfassung von Handel und Steuerpflichten ermöglichen und gleichzeitig den Zugang zum Handel auch für kleinere Unternehmen erleichtern.
Was sind die Kritikpunkte an der geplanten EU Mehrwertsteuerreform?
Sie stammt noch aus einer Zeit, in der Händler ihre Waren bei grenzüberschreitendem Handel aus einem eigenen Lager vor Ort versendet haben. An diesem vermeintlich gängigen Online-Handelsmodell hat sich die EU-Kommission bei der Formulierung neuer Regelungen orientiert. Inzwischen hat sich im E-Commerce jedoch ein deutlicher Wandel vollzogen und die meisten Händler nutzen längst vollkommen andere Strukturen.
Die Abwicklung von Transaktionen über sogenannte Fulfillment-Center werden jedoch durch die Regelungen der EU Mehrwertsteuerreform in Teilen nicht berücksichtigt. So gibt es beispielweise keine Regelung für den Fall, wenn Waren zwischen zwei Centern im Ausland verschoben werden, um erst danach an den Endkunden geliefert zu werden. Viele Aspekte des modernen Online-Handels finden somit keine Anwendung in der Reform. Lediglich Onlinehändler mit eigenem Lager im jeweiligen Heimatland profitieren von den geplanten Änderungen.
Ein gutes Beispiel ist das PAN-EU-Programm von Amazon, an dem mittlerweile bereits zahlreiche Marketplace-Händler teilnehmen. Wer sich zur Teilnahme an diesem Programm entschließt, gibt Amazon das Einverständnis, dass der Konzern Waren je nach individueller Nachfrage selbstständig zwischen den unterschiedlichen Lagern verschieben kann. Dies führt dazu, dass Skaleneffekte besser ausgenutzt werden können. Zudem werden die Lieferzeiten verkürzt und Kosten gesenkt.
Was sind die Vorteile der EU Mehrwertsteuerreform?
Die Mehrwertsteuerreform der EU hat noch weitere Aspekte und Auswirkungen, die wir hier kurz vorstellen:
Grenze für Kleinlieferungen bis 22 Euro entfällt
Es gab für die Einfuhr von Sendungen aus Drittländern eine Grenze von 22 Euro. Bis zu diesem Betrag galt eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer. Dieser Grenzwert wurde zum 1. Juli 2021 abgeschafft. Seitdem ist für alle Sendungen von außerhalb der EU theoretisch ab dem ersten Cent Mehrwertsteuer zu zahlen. Allerdings werden in der Praxis Steuern von weniger als einem Euro nicht erhoben. Dies bedeutet, dass Lieferungen, die nicht mehr als 5 Euro wert sind, derzeit weiterhin nicht versteuert werden. Allerdings berechnen die Lieferdienste inzwischen Servicepauschalen, die unterschiedlich ausfallen. In der Regel fallen mindestens 5 Euro pauschale Servicegebühr an für Lieferungen aus Drittländern. Diese Gebühren werden auch deshalb erhoben, weil der Lieferant in der Regel die Abwicklung bezüglich Zoll und Steuern übernehmen muss. Durch die neue Regelungen wird die bisherige “Bevorzugung” von Lieferanten aus Drittländern weitgehend beendet.
Neuregelung IOSS für internationale Lieferungen bis zu einem Wert von 150 Euro
Das IOSS = Import-One-Stop-Shop System kommt dann zum tragen, wenn ein Verkäufer aus einem Drittland sich im neuen Mehrwertsteuersystem der EU registriert. Waren mit einem Wert von höchstens 150 Euro werden dann bei der Einfuhr nicht mit zusätzlichen Abgaben belastet. Allerdings ist Mehrwertsteuer zu zahlen, die der Verkäufer direkt mit der zentralen Stelle für IOSS abrechnet. Beim Endkunden wird diese Steuer bereits auf der Rechnung dargestellt.
Alle Details & Regelungen zu IOSS finden Sie hier.
Neuregelung MOSS bereits seit 2019
Das MOSS = Mini-One-Stop-Shop Verfahren wurde bereits 2019 für elektronisch erbrachte Dienstleistungen sowie für Fernseh-, Rundfunk- und Telekommunikationsleistungen eingeführt. Dieses Verfahren geht nun in das neue, seit 1. Juli 2021 gültige OSS = One-Stop-Shop Verfahren ein. Weitere Details dazu finden Sie hier.
Fazit:
Zusammenfassend lässt sich bisher sagen: Es gibt gute Ansätze. Aber mit Fehlern.
Als Steuerberatungsgesellschaft, die sich schon früh auf Onlinehandel und Internationales Steuerrecht spezialisiert hat, sind wir stets auf dem neuesten Stand bezüglich der EU Mehrwertsteuerreform und unterstützen unsere Mandanten bei allen diesbezüglichen Belangen. Wir können sowohl IOSS als auch OSS Verfahren begleiten und selbstverständlich weiter bei Bedarf Umsatzsteuer-Identifikationsnummern im Ausland beantragen.
Vereinbaren Sie gerne einen Termin für ein Kennenlerngespräch. Dann können wir gemeinsam schauen, wie wir dieses komplexe Thema rechtssicher für Ihre Unternehmungen lösen können.
*Hinweis: Die Informationen in diesem Artikel sind nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert, zusammengetragen und geschrieben. Sie ersetzen jedoch keine Rechts- oder Steuerberatung. Bitte stellen Sie für eine rechtlich bindende Beratung eine Anfrage. Wir übernehmen keine Haftung für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder mögliche Änderung der Sachlage.